Aktuelles
Sterbebedingungen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Auf dem kürzlich an der Justus-Liebig-Universität in Gießen
vom TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung ausgerichteten 2. Kongress
»Sterben im Krankenhaus und stationären Pflegeeinrichtungen«, waren sich die
Experten einig, dass die zentrale Herausforderung in der bestmöglichen
Betreuung Sterbender unabhängig des Sterbeortes besteht. Dies kann nur
gelingen, wenn die damit verbundenen psycho-sozialen und
medizinisch-pflegerischen Prozesse sektoren- und bereichsübergreifend
organisiert werden. Durch interprofessionelle Referate und Podiumsdiskussionen wurden
praktikable Lösungen anhand guter Beispiele und sinnvoller Methoden des
Qualitätsmanagements erörtert. Die nachfolgenden zentralen Aussagen des Tages
bilden Resümee und Ausblick zugleich.
Der Kongress stand unter der Schirmherrschaft von Dr. Helge
Braun, Berlin (Staatsminister im Kanzleramt), der betonte, dass bei allem
bestehenden Entwicklungsbedarf das hohe Niveau des Erreichten nicht übersehen
werden sollte. Die Universität sieht sich nach Einschätzung von Prof. Peter
Schreiner, Gießen (Vizepräsident JLU-Universität) in einer langen Tradition der
Lebenswissenschaften und es sei klar, dass zu diesen auch das Sterben und der
Tod gehörten. Nie seien die Voraussetzungen in unserer Gesellschaft besser
gewesen, den Menschen einen würdevollen Tod im Kreis der Familie zu
ermöglichen.
Kordula Schulz Asche, Berlin (Sprecherin der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag) berichtet, dass in Krankenhäusern und
Pflegeeinrichtungen anders als von vielen gewünscht verstorben wird. Aus beiden
stationären Settings erhalte sie Problemanzeigen, auf die politisch reagiert
werden muss. Die meisten Menschen sterben nach Aussage von Dr. Birgit
Weihrauch, Düsseldorf (Deutscher Hospiz und Palliativverband) nach einer
längeren Zeit der Pflegebedürftigkeit aufgrund chronischer
Mehrfacherkrankungen. Vor diesem Hintergrund ist der »Transfer von Hospizkultur
und Palliativkompetenz« in die Einrichtungen der Regelversorgung eine große
Herausforderung.
Hospizkultur und Palliative Care gewinnen nach Aussage von
Prof. Dr. Elisabeth Reitinger, Klagenfurt (Alpen-Adria Universität) in
österreichischen Alten- und Pflegeheimen an Bedeutung: Dies mache es notwendig,
Kulturen für ein gutes Leben und ein gutes Sterben zu entwickeln.
»Über 2000 Mitarbeiter aus annähernd 467 Einrichtungen
wurden 2014 zu deren Einschätzung zur erreichten Versorgungsqualität
deutschlandweit befragt«. So lautete die Eröffnung des Vortrages von Prof. Dr.
Wolfgang George, Gießen (TransMIT-Projektbereich für Versorgungsforschung).
Verwendet wurde ein Screeningverfahren, das sowohl die psycho-soziale als auch
die pflegerisch-medizinische Qualität ermittelt. Die Ergebnisse zeigen eine
insgesamt problematische Situation, die vielerorts durch unzureichende
Angehörigenintegration, fehlende Kooperation und unzulängliche Kommunikation
und Information – neben dem erneut bestätigten Ressourcenproblem –
gekennzeichnet ist.
Prof. Dr. Rainer Röhrig, Gießen (Universität Oldenburg),
beschreibt die besonderen Anforderungen der Intensivmedizin. Deutlich wird in
den Ausführungen, wie wichtig ein geregeltes Verfahren ist, das es erlaubt,
schwierige Entscheidungssituationen möglichst konsensuell, transparent und
reproduzierbar zu erstellen. PD Dr. Andre Banat, Gießen (Gesundheitszentrum
Wetterau) beschreibt die Betreuungssituationen als ein Ort unterschiedlicher
Interessen. Bisher sind die Bemühungen um eine verbesserte Betreuungskultur und
Praxis nur mit unzureichenden Ergebnissen verbunden. Um in dieser Situation
eine durch unabhängige Dritte und entlang reproduzierbarer Kriterien definierte
Versorgungsqualität zu erreichen, ist das Deutsche Qualitätssigel entwickelt
worden. Der Versorgungsauftrag der Pflegeheime beschränkt sich nicht auf
medizinische oder körperlich pflegerische Leistungen.
Nach wie vor erreichen Claus Fussek, München (Vereinigung
Integrationsförderung) fast täglich unerträgliche, dramatische und
erschütternde Berichte von verzweifelten Pflegekräften und Angehörigen. Sterben
ist in zahlreichen Einrichtungen Deutschlands nach wie vor würdelos und
grausam.
Die Kommune hat nach Aussage von Karl-Christian Schelzke,
Mühlheim (Hessischer Städte- und Gemeindebund) die Aufgabe, für das Thema »Weggemeinschaft
beim Leben und Sterben« zu sensibilisieren, Menschen anzusprechen, zu
begleiten, Anerkennung auszusprechen. Die freiwillige Arbeit ist eine
unverzichtbare Stütze. Hospizhelferinnen investieren Kraft, Zeit und Liebe für
ihre anspruchsvolle Aufgabe.
Die Hausärzte müssen für die Heimbetreuung besser
ausgebildet und einbezogen werden, lautet die Zielmarke von Prof. Dr. Jens
Papke, Zwickau (Hochschule Zwickau). Der Bedarf an spezialisierter ambulanter
Palliativversorgung (SAPV) in stationären Pflegeeinrichtungen wächst
kontinuierlich. Dieses Modell einer sektorenübergreifenden spezialisierten
Versorgung ist ein Lösungsweg. Ähnlich die Aussage von Dr. Eckhard Starke,
Offenbach (Hessische Ärztekammer). Trotz nahezu flächendeckender Versorgung
durch die spezialisierte Palliativversorgung und Hausärzte sterben viele
multimorbide alte Patienten nicht in ihrer gewohnten Umgebung.
Dass sich Sterbende neben Schmerzfreiheit auch Einfluss auf
ihre Situation und die Entscheidungen ihrer Angehörigen wünschen, ist die
Überzeugung von Christine Sowinski, Köln (Kuratorium Deutsche Altenhilfe). Die
»professionellen« Helfer müssen unterstützt werden, lautet eine Einschätzung
von Lothar Lorenz, Limburg (Hessischer Hospiz und Palliativverband). Der
Verband will helfen, dass die Selbstständigkeit des Betroffenen gewahrt bleibt.
Nur durch gegenseitige Unterstützung ist dies möglich. Für Prof. Dr. Dr. Reimer
Gronemeyer, Mainz (Universität Gießen) sind die letzen 50 Jahre durch drei
Fokussierungen gekennzeichnet:1. Institutionalisierung: Innerhalb eines halben
Jahrhunderts ist das Sterben in das Krankenhaus und das Pflegeheim, in kleinem
Maße auch in das Hospiz verlagert worden. 2. Dies gehe einher mit einer
Medikalisierung des Sterbens. 3. Ökonomisierung: Die letzten Lebensmonate und
Wochen eines Menschen sind heute der teuerste Abschnitt im Leben.
Weitere
Informationen:
www.transmit.de